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Eigentlich müsste er schon toben, doch bislang entwickelt der Bundestagswahlkampf 2009 eher die Dynamik eines lauen Sommerlüftchens. Woran liegt das? An der Großen Koalition insgesamt oder doch nur den beiden Kontrahenten um das Kanzleramt, Merkel und Steinmeier? tagesschau.de hat sich unter Experten umgehört.
Von Niels Nagel, tagesschau.de
Bislang ist der Verlauf des Wahlkampfsommers mehr als untypisch. Keine Themen, keine Kontroversen, kaum öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten. Das mag überraschen, doch es gibt Gründe. Und die liegen schon vier Jahre zurück. Denn Wahlkämpfe hinterlassen ihre Spuren.
Bereits 2005 galt Angela Merkel als haushohe Favoritin, in allen Umfragen lag sie deutlich vor dem damaligen Amtsinhaber Gerhard Schröder. Ihr Sieg war eigentlich schon eine ausgemachte Sache. Doch dann griff Schröder an. Er betonte die Gegensätze zur CDU-Kandidatin, stellte Merkel in die Ecke der Marktradikalen und hatte damit fast Erfolg. Am Ende trennten gerade mal rund 6000 Stimmen Union und SPD.
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Zwar wurde Merkel Bundeskanzlerin, doch "sie hat ihre Lehren aus dem letzten Bundestagswahlkampf eindeutig gezogen", sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun im Gespräch mit tagesschau.de.
Was Merkel gelernt hat, zeigt ein Blick auf den aktuellen Bundestagswahlkampf. Anders als noch vor vier Jahren, vermeidet es Merkel jetzt, sich inhaltlich klar zu positionieren. Wo beim letzten Mal noch ein konkretes Steuermodell eines designierten Finanzministers Paul Kirchhof diskutiert wurde, herrscht heute nebulöses Schweigen. Das färbt natürlich auch auf den Wahlkampf ab: Er bleibt oberflächlich.
[Bildunterschrift: Wahlkampf bequem: "Merkel
kann sich auf einem riesigen Zustimmungspolster ausruhen", sagt der
Politikberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle. ]
Aus Sicht der von tagesschau.de befragten
Politikberater ist Merkels Agieren aber durchaus verständlich - und
wenig überraschend. Merkel könne sich momentan auf einem so "riesigen
Zustimmungspolster ausruhen", findet etwa Klaus-Peter Schmidt-Deguelle,
dass sie sich "weder in die eine noch in die andere Richtung
profilieren muss". Denn wann immer Politiker sich inhaltlich klar
positionieren, darin sind sich die Experten einig, besteht auch die
Gefahr des Widerspruchs. Beliebigkeit biete da mehr Sicherheit.
Auch die Große Koalition selbst trägt zum bisher eher schleppenden Verlauf des Wahlkampfs bei. Darin sind sich alle von tagesschau.de befragten Politikberater einig. Politikberater Marco Althaus sagt: "Im Grunde sind die beiden Zentristen stolz auf das gemeinsam Erreichte, auf die Disziplinierung ihrer Parteiflügel. Es gibt nichts, wofür sie bereit wären, die Große Koalition platzen zu lassen." Sein Kollege Heiko Kretschmer sieht die Probleme jeweils innerhalb der Parteien: die SPD eiere nach elf Jahren Regierungsbeteiligung herum, die Union müsse für den inneren Frieden sorgen und deshalb den Wahlkampf so inhaltsfrei wie möglich halten.
Denn allen Unkenrufen zum Trotz sei die Arbeit der Großen Koalition von der Bevölkerung alles in allem als ganz gut wahrgenommen worden, so die Expertenmeinung. Gravierende Differenzen zwischen den Koalitionären gab es, mit Abstrichen bei der Gesundheitspolitik, eigentlich während der gesamten gemeinsamen Regierungsjahre nicht. Das schweißt zusammen, gerade auch in Zeiten der Wirtschaftskrise, in denen Visionen und Zukunftsentwürfe für die Wählerinnen und Wähler weit weniger attraktiv sind als konkrete Problemlösungen, erklärt Politikberaterin Christiane Bertels-Heering.
Von daher "ist es verständlich, dass sich weder SPD noch Union von dieser positiven Wahrnehmung distanzieren wollen", sagt Politikprofessor Jun. Das gilt auch für deren Spitzenkandidaten und verstärkt ihre wenig wahlkampftauglichen Charaktereigenschaften: Beide wirken weder polarisierend noch visionär oder charismatisch. "Merkel ist die Königin des Ungefähren", sagt der Kommunikationsberater Klaus Kocks. "Steinmeier ist ein Aktendeckel, der Mehltau über alles und jedes zu legen versteht."
[Bildunterschrift: Langweilige Wahlkämpfe? Auf Dauer kann das zu Legitimationsproblemen führen, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun. ]
Dass sich in den vier Wochen bis zur Wahl an diesem
Wahlkampfstil noch etwas ändert, glaubt Politologe Jun nicht. Zwar
könnten die jetzt am Sonntag anstehenden Landtagswahlen die Diskussion
um mögliche Koalitionen noch einmal anfeuern, aber auf der inhaltlichen
Ebene sehe er kein Thema, "das sich jetzt noch aufdrängt". Der
Wahlkampf könnte weiter vor sich hin plätschern. Auf den ersten Blick
vielleicht kein Problem. Doch Jun sieht das anders: "Wenn es nicht
einmal mehr in Wahlkämpfen gelingt zu mobilisieren, dann stellt sich
irgendwann einmal die Frage nach der Legitimation einer Bundestagswahl.“
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